Sprachentwicklungsstörungen

Bei einer gestörten Sprachentwicklung können die Bereiche Sprachverständnis, Laut- und Satzbildung sowie Wortschatz eines Kindes im Vergleich zu seiner Altersgruppe verzögert oder fehlerhaft sein.

Allgemein findet man folgende Abkürzungen:
SEV Sprachentwicklungsverzögerung SES Sprachentwicklungsstörung SEB Sprachentwicklungsbehinderung
Diese können somit alle Bereiche des Sprachsystems betreffen: Lautsystem, Aussprache (Phonologie / Phonetik), Wortschatz (Semantik / Lexikon), Grammatik / Satzbau (Morphologie / Syntax) und allgemein die Kommunikationsfähigkeit (Pragmatik). Des Weiteren können sich auch Einschränkungen im Bereich der Wortfindung, des Sprachverständnisses, sowie der Schriftsprache (Lesen und Schreiben) zeigen. Es lässt sich oft keine genaue Ursache einer kindlichen Sprachentwicklung finden.

Mögliche Ursachen

• Hörstörungen
• allgemeine Entwicklungsstörungen
• erblich bedingte Krankheiten / Syndrome
• Fehlbildung der Sprechorgane
• familiäre Sprachschwächen
• Mehrsprachigkeit (verzögerter Spracherwerb bei Zweisprachigkeit)

Mögliche Symptome

Sprachverständnisstörungen

Hierbei ist das Verstehen von Wörtern und Sätzen eingeschränkt. Häufig können diese Kinder sprachliche Aufträge nicht entschlüsseln.

Wortschatzdefizit

Die Gesamtmenge der Wörter, die das Kind versteht (passiver Wortschatz) oder / und der Wörter, die es beim Sprechen verwendet (aktiver Wortschatz) ist nicht altersadäquat. Deshalb kommt es häufig zur Verwendung unspezifischer Wörter, wie "tun", "machen", "dingsda" usw. Für den passiven Wortschatz heißt das, dass Kinder sich Wortbedeutungen noch nicht erschlossen haben (z.B. aufmachen / zumachen machen, auf, unter, über usw.). Dies gilt vor allem für Verben und Adjektive. Im Bereich des aktiven Wortschatzes kommt es vor allem bei der Kategorisierung (Ober- / Unterbegriffe) zu Schwierigkeiten (z. B. Tier - Katze). Des Weiteren kann es zu Wortabruf- und Wortspeicherstörungen kommen. Wortschatzdefizite werden oft über Mimik und Gestik kompensiert.

Störung der Aussprache (Dyslalie).

Das Kind verwendet Laute fehlerhaft oder unvollständig (z. B. Schank statt Schrank)

Dysgrammatismus (Morphologie / Syntax)

Kinder mit Dysgrammatismus haben Schwierigkeiten grammatikalische Regeln zu erkennen und zu erlernen. Dementsprechend kommt es zu Fehlern bei der Deklination und Konjugation von Wörtern (die lehrerin zeige den junge was). Weiterhin kann der Satzbau gestört sein. Es kommt zu Umstellungen oder Auslassungen von Satzelementen. Die falsche Stellung des Verbes ist hierbei besonders auffällig. Die Kinder schaffen es häufig nicht, die im Kleinkindalter verwendete Verb-End-Stellung zu korrigieren und die Verb-Zweit-Stellung zu verwenden.
Pragmatische Störungen sind Störungen der Kommunikation. Kommunikationsregeln wie z. B. Frage-Antwort und abwechselndes Sprechen können vom Kind noch nicht umgesetzt werden. Ein Einhalten des Blickkontaktes zur Aufrechterhaltung der Kommunikation ist dem Kind nicht immer möglich.

Entwicklungsdyslexien /-dysgraphien

Bezeichnet die Störung im Erwerb des Lesens und Schreibens. Hierbei kann es zu Lautverwechselungen und -auslassungen sowie zu Fehlern bei der Umsetzung von Lautsprache in Schriftsprache und umgekehrt kommen. Häufige Ursache hierfür sind auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen.

Mutismus

Betroffene Kinder sprechen nicht, obwohl das Sprechvermögen vorhanden ist. Es wird hierbei unterschieden zwischen:
Selektiver Mutismus
Mutistische Kinder besitzen die Fähigkeit zu sprechen. Sie setzen die Sprache jedoch in bestimmten Situationen oder im Kontakt mit Außenstehenden nicht ein. Sie zeigen in diesen Situationen ein beharrliches Schweigen, erstarren oder verständigen sieh nur mittels Gesten und/oder Mimik. Zu Hause dagegen zeigen sie meist ihre sprachlichen Kompetenzen. Häufig kommt es auch zu Sekundärsymptomen wie abweichendes Essverhalten, Einnässen/Einkoten, starker Wunsch nach Kontrolle, Tics und Zwängen.
Totaler Mutismus
Von totalem Mutismus spricht man, wenn Kinder trotz ihrer Fähigkeit zu sprechen, überhaupt nicht lautsprachlich kommunizieren.

Durch Hörstörungen bedingte sprachliche Auffälligkeiten

Hörstörungen können durch bleibende oder vorübergehende Veränderungen am Hörorgan auftreten. Diese können ein- oder beidseitig sein. Man unterscheidet hierbei zwischen Schallleitungsschwerhörigkeit, Schallempfindungsschwerhörigkeit und Taubheit.
Schweregrad der Hörstörung
• leichtgradig: Hörverlust < 40 dB
• mittelgradig: Hörverlust 40 - 60 dB
• hochgradig: Hörverlust 60 - 90 dB
• an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit: Hörverlust > 90 dB
• Taubheit: keinerlei Hörwahrnehmung

Mögliche Ursachen
• genetische Dispositionen
• Mittelohrentzündungen (Otitis media)
• Infektionen der Mutter in der Schwangerschaft
• frühkindliche Erkrankungen (z. B. Hirnhautentzündungen)
• Missbildungen im Gesicht oder am / im Ohr

Mögliche Leitsymptome

Nasalität
• das Lallen und Gurren hören im Säuglingsalter auf
• Kinder reagieren nicht auf Ansprache, Geräusche u. a.
• undeutliche / verwaschene Aussprache
• eingeschränkter Wortschatz

Dysgrammatismus

• veränderte Stimmgebung (zu laut, leise, hoch, dumpf oder gepresst)
• verzerrte oder monotone Sprachmelodie (Prosodie)
• fehlende phonematische Differenzierungsfähigkeit (Kind kann bspw. die Laute /k/ und It/ auditiv nicht voneinander unterscheiden)

Sprechtherapie bei Kindern

Dyslalie
Unter Dyslalie versteht man die Aussprachestörung einzelner Laute oder Lautverbindungen. Laute werden hier fehlerhaft gebildet, ausgelassen oder durch andere Laute ersetzt. Dyslalien können in zwei Bereiche eingeteilt werden: Störungen des phonetischen Bereichs, sowie Störungen des phonologischen Bereichs. Auch eine Mischform beider Störungen Ist möglich, sie werden als phonetisch-phonologische Störung bezeichnet wird. Häufig treten Dyslalien auch als Symptom einer komplexeren Sprachentwicklungsstörung auf.

Möglichkeiten
Sprechstörung = Phonetische Störung
• ist eine Lautbildungsstörung
• Entsprechende Laute können aufgrund von artikulationsmotorischen Schwierigkeiten nicht korrekt gebildet werden. Bsp.: Sigmatismus (umgangssprachlich: Lispeln)

Lautverwendungsstörung = Phonologische Störung
Laute werden falsch verwendet, obwohl das Kind sie isoliert, richtig bilden kann. Häufig werden sie aufgrund dessen ersetzt oder ausgelassen. Bsp.: der Laut [k] wird einzeln korrekt gebildet, aber im Wort durch den Laut [t] ersetzt. Das Kind spricht somit [Tatze] statt [Katze].
Laute können auditiv (hörtechnisch) nicht wahrgenommen oder voneinander unterschieden werden, wodurch es zu Lautverwechslungen kommt.

Mögliche Ursachen
• Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen im auditiven Bereich
• Hörbeeinträchtigungen (auch vorübergehend bei häufiger Mittelohrentzündung, Laute werden durch das eingeschränkte Hörvermögen falsch gespeichert und somit falsch produziert)
• Sprach- oder Hörstörungen in der Familie (Genetische Dispositionen)
• geringe Sprachanregung
• Infekte, Sauerstoffmangel während / bei der Geburt (Prä- bzw. perinatale Ursachen)
• Störungen der Sprechwerkzeuge (meist im Bereich der Mundmuskulatur)

Mögliche Symptome
• Ersetzung von Lauten: aus Kind wird "tind"
• Weglassen von Lauten: "al" statt Schal
• falsche Lautbildung: aus Schule wird "sule"
• Beeinträchtigungen in der Verständlichkeit der kindlichen Äußerung

Redefluss Störung Stottern

Unter Stottern versteht man eine Störung des Redeflusses aufgrund von Wiederholungen, Blockierungen und/oder Dehnungen von Lauten, Silben und/oder Wörtern. Stottern kann auch In Verbindung mit Sprachentwicklungsstörungen, Syndromen, neurologischen Hirnschädigungen oder als Begleiterscheinung psychischer Probleme auftreten. Des Weiteren zeigen sich häufig mehr oder weniger starke Begleitsymptome. Art und Ausmaß des Stotterns sind Situations-, sowie Personenabhängig und können unterschiedlich starken Ausmaßes sein. Die Begleitsymptomatik resultiert häufig aus dem Versuch, die eigentlichen Stottersymptome zu überwinden.

Mögliche Leitsymptome
• Wiederholungen von Lauten (z. B. K- K- K-Kino) Silben (z. B. Ki-Ki-Ki-Kino) oder Wörtern (z. B. Kino-Kino-Kino)
• Dehnungen von Lauten (z. B. KKKKKKKKino)
• Blockierungen von Wörtern {z. B. -----------Kino}
• Mögliche Begleitsymptome
• Erhöhung des Muskeltonus des gesamten Körpers
• Mitbewegungen (z. B. Augenzwinkern, Aufstampfen)
• Sprechangst
• Vermeidungsverhalten (Auslassen oder Ersetzen stottergefährdeter Wörter)
• Einschieben von Floskeln, Füllwörtern, oder Startern (bspw. hm, ja, also ... )
• fehlender Blickkontakt
• pressendes Verharren in der Artikulationsstellung
• emotionale Begleiterscheinungen wie Angst-, Wut-, und Schamreaktionen,
• soziales Vermeidungsverhalten (z. B. Vermeiden von Sprachsituationen, Rückzug)

Stottern versus Entwicklungsstottern

Bezeichnet das phasenweise Auftreten von altersgemäßen Sprechunflüssigkeiten während der Sprachentwicklung, welche meist im Alter zwischen 2 und 4 Jahren auftreten können. Entwicklungsstottern zeichnet sich zum Beispiel durch Wiederholungen von Wörtern, Silben und Satzteilen und Unterbrechungen des Redeflusses aus.

Redefluss Störung Poltern
Unter Poltern versteht man eine Störung des Redeflusses, die sich durch eine zu schnelle, unrhythmische Sprechweise auszeichnet.

Mögliche Ursachen
• angeborene, genetische Ursachen (bspw. familiäre Sprachschwächen)
• Störungen bei der Kontrolle von Sprechbewegungen
• Ungleichgewicht zwischen der Geschwindigkeit des Denkens und der Fähigkeit die Gedanken in Sprechbewegungen umzusetzen
• eingeschränkte Wahrnehmung bezüglich der eigenen Sprechweise
• Polterer haben in der Regel meist nur ein geringes Störungsbewusstsein.

Mögliche Symptome
• schnelles, überstürztes Sprechen
• Wiederholen von Silben, Wörtern oder Satzteilen
• Auslassen oder Verschmelzen von Lauten, Silben, Wörtern z. B. hud statt Hund
• unflüssiges, unregelmäßiges und unrhythmisches Sprechen
• Auftreten grammatikalischer Fehler
• Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben
• Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme

Sprechapraxie
Sprechapraxien sind Störungen in der Planung und Durchführung von Sprechbewegungen. Die am Sprechakt beteiligten Organe sind jedoch intakt.

Mögliche Symptome
• auffällige Lautbildung / Lautentstellungen mit hoher Variabilität
• Unverständlichkeit
• silbisches Sprechen
• Sprechpausen und Dehnungen
• artikulatorische Suchbewegungen
• deutliche Sprechanstrengungen
• geplantes Sprechen ist schlechter als unwillkürliches (z. B. spontane Ausrufe)

Dysarthrie vs. Sprechapraxie

Von der Dysarthrie unterscheidet sich die Sprechapraxie dadurch, dass bei nichtsprachlichen Aufgaben keinerlei Beeinträchtigungen zu beobachten sind, d. h. Bewegungen der Lippen, der Zunge, des Kiefers etc., die einem anderen Zweck als dem des Sprechens dienen, sind nicht betroffen.

Rhinophonie- / lalie („Näseln“)

Bezeichnet eine Störung des Stimmklangs. Hierbei entweicht zu viel oder zu wenig Luft durch die Nase. Umgangssprachlich bezeichnet man dies auch als "Näseln".
Hierbei gibt es zwei Formen
geschlossenes Näseln (Rhinophonie/-lalie clausa)
• Es liegt eine Behinderung im Nasenrachenraum vor, welche während des Sprechens dafür sorgt, dass zu wenig Luft durch die Nase ausströmt.
• offenes Näseln (Rhinophonie/-lalie aperta)
• Während des Sprechens strömt zu viel Luft aus der Nase.
• Mischform (Rhinophonie/-lalie mixta)

Mögliche Ursachen für offenes Näseln
• verkürztes Gaumensegel
• Lähmungen der Gaumensegelmuskulatur
• schlaffe Körperspannung
• Schonhaltung nach Mandel- oder Polypenentfernung
• falsche Sprechgewohnheit/Vorbilder im Umfeld
• Mögliche Ursachen für geschlossenes Näseln
• verkrümmte Nasenscheidewand
• vergrößerte Rachenmandeln
• Nasenpolypen
• allergische Reaktionen
• Fremdkörper (bspw. Erbse)

Mögliche Begleiterscheinungen (allgemein)
• Stimme klingt nasal
• offene Mundhaltung
• Mundatmung
• beim Schlucken kann es zu einem Austritt der Nahrung durch die Nase kommen
• Beeinträchtigung des Riechens
• Hörstörungen

Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten (LKG)

Ein- oder beidseitige Spaltbildung durch innere (z. B. Erbanlagen) oder äußere (z. B. Infekte) Faktoren. Diese können Lippen, Kiefer, Gaumen und Gaumensegel (Velum) betreffen.

Mögliche Ursachen
• erblich bedingt (genetisch)
• durch Viruserkrankungen der Mutter, Stoffwechselstörung, Sauerstoffmangel etc. während der Schwangerschaft (fötal erworben)
• Teil einer Syndrombildung (z. B. Trisomie 21)

Mögliche Symptome
• Ernährungsschwierigkeiten (durch offene Mundhöhle und Nase kann es zu Störungen beim Saugen und Schlucken kommen. Das Kind muss evtl. in diesem Fall mit dem Löffel oder über eine Sonde ernährt werden)
• Nahrungsaustritt aus der Nase
• Sprachstörungen (da auch das Hörvermögen beeinträchtigt sein kann)
• Sprechstörungen (offenes Näseln, Rückverlagerung der Artikulation)
• Hörprobleme (viele Spaltträger haben eine Tubenbelüftungsstörung mit Schallleitungsschwerhörigkeit und häufigen Mittelohrentzündungen. Durch Hörstörungen ist die Sprachentwicklung zusätzlich beeinträchtigt)
• Nasenseptumveränderung: häufig besteht eine hochgradige Septumveränderung, die die Nasenpassage erheblich beeinträchtigt und die Betroffenen zwingen durch den Mund zu atmen. Dies führt häufig zu Infekten und Hals-Rachenmandelentzündungen (onsillitis).
• Okklusionsstörungen (Kieferfehlstellungen, sowie Zahnfehlstellungen tragen zu Artikulationsstörungen bei)
• psychische Probleme (aufgrund der Ästhetik)

Schluckstörungen bei Kindern

Myofunktionelle Störungen
Als MFS bezeichnet man Fehlfunktionen im Bereich der Kau-, Schluck-, und Gesichtsmuskulatur (Wangen-, Lippen-, Zungenmuskulatur). Es besteht ein Ungleichgewicht der am Schlucken und Sprechen beteiligten Muskulatur (orofaciale Störung).

Mögliche Ursachen
• eingeschränkte oder fehlende Nasenatmung (evtl. hervorgerufen durch ständige Erkältungen, vergrößerte Mandeln oder Polypen)
• dauerhafte Mundatmung
• Lutschgewohnheiten sogenannte "Habbits" wie Daumenlutschen, Lutschen an Gegenständen etc.
• Wahrnehmungsstörungen
• unphysiologische Kopf- und Körperhaltung (häufig zu geringe Körperspannung)
aber auch:
• Frühgeburt
• Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten
• angeborenes fehlerhaftes Schluckmuster
• Hirnschädigungen
• Tumorerkrankungen im Hals- und Kopfbereich
• Mehrfachbehinderung
• Mögliche Symptomatik
• offene Mundhaltung
• fehlende Zungenruhelage
• bei längerem Bestehen häufig verkürzte Oberlippe und wulstige Unterlippe
• Zungenvorstoß beim Schlucken (viscerales Schluckmuster)
• Aussprachestörung (Dyslalie: z. B. Sigmatismus -Fehlbildung des Lautes "s"), generell interdentale Fehlbildung der Zungenspitzenlaute)
• Zahnfehlstellungen

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